Mit der Spielart proLudio© die Finger befreien

Eisenberg verstimmt

In der Nähe von Weiden wurde ich zu einem Kleinklavier der Marke „Eisenberg“ gerufen. Die Marke ist mir bekannt. Es handelt sich um Instrumente aus der ehemaligen DDR. Diese sind nicht automatisch schlecht. Wie bekannt ist, musste man in der DDR unter starken Einschränkungen produzieren. Im Vergleich waren die westdeutschen Klaviere wegen des besseren Materials nicht automatisch besser. Sie waren teurer und was das Thema der so genannten Kleinklaviere betrifft, waren die Instrumente mit ähnlichen Problemen einer suboptimalen Konstruktion behaftet. Die Verstimmung des Instruments aus unserem Hörbeispiel war seltsam. Das Kleinklavier war nicht unbedingt stark verstimmt, aber die Art der Verstimmung war auch nicht auf Anhieb erkennbar.

Der letzte Stimmer gab offen zu, dass er mit dem Klavier nicht zurecht kam. Das ist aus meiner Sicht durchaus nachvollziehbar, da die meisten Klavierstimmer mit einer einseitigen Stimmtechnik arbeiten. Sie stimmen nämlich entweder nur nach Gehör oder ausschließlich mit einem Stimmgerät ohne die Kenntnis der zusätzlichen Kontrollen über das Gehör. Dabei kann man beim Einsatz eines Stimmgeräts das Problem beim Hören deutlich sehen: Die Saiten sind unrein. Die Nebenschwebungen dominieren teilweise den Ton. Das heißt, die visuelle Anzeige am Frequenzmessgerät ist alles andere als eindeutig. Das Stimmgerät bringt in diesem Fall nicht die erwünschte Erleichterung. Das Problem des Klavierstimmers ist es nun, es trotzdem möglichst passend zu machen. Wenn man nur mit den Ohren den Ist-Stand des Tons zu analysieren versucht, begreift man zwar, dass dieser Ton für das Gehör genau genommen zu komplex ist. Aber man findet hörend keinen strategischen Lösungsansatz, da man ja nie auf die Idee käme, dass sich innerhalb einer einzelnen Saite ein Frequenzspektrum mit einer derartigen Eigendynamik befindet. So etwas muss man gesehen haben, um es überhaupt glauben zu können. Die Trefferquote beim Stimmen ausschließlich nach Gehör ist bei solchen Klavieren relativ gering und gleichzeitig die nervliche Belastung für den Gehörstimmer sehr hoch.

Eisenberg gestimmt

Wie Sie in der zweiten Aufnahme hören können, ist die Stimmung nun wesentlich besser. Das ist der von Praeludio entwickelten Hybrid-Stimmtechnik zu verdanken. Praeludio arbeitet beim Stimmen mit Augen und Ohren auf einem Zwei-Wege-System unterschiedlicher Modalitäten. Doch das Klavier beinhaltet noch ein Problem: Die Spielart ist relativ schwer. Das war auch dem letzten Stimmer aufgefallen, doch er konnte nur Vermutungen zur Ursache äußern. Die Zusammenhänge der Spielart liegen für viele in einem Schleier, den Wissende darüber gezogen haben, um das Geheimnis zu bewahren. Nicht-Wissende müssen sich an Normen orientieren. Sind die Normen erfüllt, aber das Problem nicht gelöst, bleibt einem nichts anderes übrig, als von einem schlechten Klavier zu reden und die Kapitulation anzubieten.

Das Problem trifft im Kern die Philosophien von Steinway und Bösendorfer. Steinway favorisiert das schnelle Klavierspiel und setzt in dem Zusammenhang auf den so genannten brillanten Klang. Im Gegensatz dazu weiß Bösendorfer um die Wirkung des Wohlklangs und ordnet die Spielart daher der Klanggestaltung unter. Einige der Normen der Mechanikregulierung von Steinway sind im Gegensatz zum ganzheitlichen Konzept des Wohlklangs von Bösendorfer leicht kopiert. Doch nur selten ist der schlichte Transfer technischer Normen zum Vorteil der Funktion der Klaviermechaniken in anderen Marken und Modellen. So verhielt es sich konkret mit der Spielart bei unserem Kleinklavier der Marke Eisenberg.

Die Klavierspielerin berichtete, dass sie im Rahmen ihres Studiums aufgrund des intensiven Übens Sehnenscheidenentzündungen gehabt hat. Das ist eine mögliche Folge, wenn man gegen zu große Widerstände arbeiten muss. Der Körper signalisiert eine Überlastung. Die Aufgabe für den Klavierservice lautete daher, die Finger der Klavierspielerin von der überflüssigen Last zu befreien. Die Lösung bereitete ich bei einigen Tasten zum Vergleichen vor. Nach einem kurzen Probespielen der Besitzerin und ihrer Bestätigung für das Gefühl einer leichteren Spielart stellte ich die gesamte Mechanik entsprechend neu ein.

Als dann am Ende das richtige Probespielen mit Noten stattfand, war die Klavierspielerin total überrascht, da ihr Kleinklavier nun nicht nur gut gestimmt klang, sondern sich auch völlig anders spielen lies! Davon können Sie hörend zumindest etwas erahnen, wenn Sie die folgende 3. Aufnahme hören, die nach den Veränderungen der Spielart entstand. Während vorher meine Interpretation eher bescheiden ausfiel, bekam ich relativ schnell beim Spielen aufgrund des Empfindens der nunmehr befreiten Finger regelrecht Lust darauf, den Gestaltungsspielraum entsprechend des mir bekannten Ausdruckspotenzials dieses Stücks auszuschöpfen. Alleine durch die veränderte Spielart war es mir möglich, klangliche Differenzen der so genannten Intonation über den Anschlag auszugleichen. Knallten in der gestimmten Version einzelne Töne schon kurz nach dem Anfang noch grell heraus, so konnte ich das über die nun vollständig gewährleistete Anschlagsdynamik ausgleichen.

Spielart proLudio©

Wie könnte der Klavierservice weitergehen? Im nächsten Schritt kann man sich darum bemühen, den Klang aufzuwerten. Die Hämmer zeigen bereits deutliche Spuren der Nutzung. Ferner sieht man schief stehende Hämmer, die sich auch schon schief eingespielt haben. Das erhöht den Verschleiß und birgt das Risiko von Folgefehlern in sich, denn durch die nicht achsengerechte Belastung werden nachfolgende Teile wie die Hammernuss geschädigt und vorzeitig verschlissen. Da sich aber die Klavierhämmer nicht von selbst verdrehen, ist das ein Werksfehler, auf den man im Klavierservice häufiger trifft. Das liest sich alles sehr aufwendig. Muss es daher auch teuer sein? Nicht unbedingt...

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